Spaniens Gesellschaft und die Gitanos – Integration oder Außenseiterrolle?
In Spanien leben insgesamt ca.600 000 Gitanos, deutsch Zigeuner genannt. Damit ist das Land auf Platz zwei hinsichtlich der Größe seiner Zigeunergemeinde. Von den 600 000 lebt etwa die Hälfte der spanischen Gitanos in Andalusien.
Die in Spanien lebenden Gitanos gehören meist dem Volksstamm der Kalé an, welcher mit den in Mittel- und Osteuropa lebenden Sinti und Roma verwandt ist. Seit jeher haben sie die iberische Kultur bedeutend mitgeprägt, ob als berühmte Musiker oder Flamencotänzer. Dies entspricht wohl dem bekannten und verträumten Bild vom Leben der Zigeuner: Gitarren, Lagerfeuerromantik, ein freies Leben ohne bürgerliche Zwänge.
Doch diese idealisierte Vorstellung trifft häufig auf Vorurteile und gesellschaftliche Ablehnung seitens der spanischen Bevölkerung. Vielerorts werden Gitanos diskriminiert und meist leben sie an der Armutsgrenze. Dies hat häufig seinen Ursprung in der hohen Anzahl der Analphabeten, und von 1,5 Millionen Studenten an spanischen Universitäten stammen weniger als 1 000 angehende Akademiker aus Kalé-Familien.
Diskriminierung und Verfolgung
Die Verfolgung und soziale Ächtung der Gitanos begann schon kurz nach ihrer Einwanderung von Indien nach Europa. Dabei sind unter dem Oberbegriff Zigeuner verschiedene Volksstämme zusammengefasst: die bereits oben erwähnten Sinti und Roma (Mitteleuropa), die Kalderasch und die Kalé (Spanien, Südfrankreich und Finnland). In Spanien galten die Kalé als Ausländer, bis König Karl III. im Jahr 1783 alle Gitanos zu Spaniern ernannte. Er forderte sie auf, sesshaft zu werden, im Gegenzug verordnete er, dass sie fortan nicht mehr mit dem Bergriff Gitano bezeichnet werden sollten. Trotzdem wurden sie im Jahr 1749 in ganzen Land verfolgt und verhaftet, unter Franko waren sie ein bevorzugtes Ziel der Guardia Civil.
Im Gegensatz zu den Sinti und Roma in Frankreich und Belgien sind die Gitanos in Spanien zu 80% sesshaft geworden. Die Kalé leben heute in vielen Städten in so genannten Poblaciones gitanas („Zigeunerviertel“), die aus Barackensiedlungen bestehen. Umgeben sind diese Viertel mit Steinmauern, um sie vom Rest der Stadt abzutrennen, sie sind auch als eigene Viertel in den Stadtplänen verzeichnet. Eine positive Entwicklung ist dabei z. B. in Alicante zu beobachten, wo die Stadtverwaltung 1991 mit dem Abriss der Baracken begann und dafür Sozialwohnungen für die Gitanos zur Verfügung stellte.
Unterschiedliche Lebensweisen und Projekte für die Zukunft
Dennoch gibt es noch große Unterschiede in der Lebensweise der Kalé verglichen mit dem Leben der Durchschnitts-Spanier: der Prozentsatz der Frauen, die ausschließlich mit dem Haushalt beschäftigt sind, liegt bei den Gitanas deutlich höher – 76 Prozent, während er sonst landesweit bei 49 Prozent liegt. Zudem bekommen laut Statistik Gitanas in jüngeren Jahren Kinder als Spanierinnen, ferner gibt es Unterschiede bei der Anzahl der Kinder: im Schnitt bekommt eine Gitana 3,3 Kinder, eine Spanierin dagegen 1,1. Das Durchschnittalter der Gitanos liegt im Durchschnitt bei 34,8 Prozent, dass der spanischen Bevölkerung bei 45,5 Prozent. Auch lehnen 35 Prozent der Spanier Gitanos immer noch in ihrer Nachbarschaft ab.
Mittlerweile sind Projekte entstanden, die den Gitanos die Integration in die moderne Welt ermöglichen bzw. erleichtern sollen, ohne ihre Kultur zu vergessen, denn die Gitanos sind ihrerseits sehr stolz auf ihre Wurzeln und ihre Lebensweise. Diese kennzeichnet sich mitunter durch den engen Zusammenhalt innerhalb der Familie und der Gemeinde aus, sowie durch den großen Respekt vor den Älteren. Der Gitano-Kultur sei auch materieller Fortschritt und eintönige körperliche Arbeit fremd, so erklärt Juan de Dios Ramírez, sozialistischer Abgeordneter im Europaparlament, die Weltanschauung seines Volks. Dies kann zu finanziellen Problemen und bitterer Armut führen, da finanzielle Sicherheit nicht als erstrebenswertes Ziel betrachtet wird und daher nicht für Rücklagen gesorgt wird. In solchen Fällen kann es unter Anderem dann auch zu Bettelei und Diebstahl kommen, Eltern schicken ihre Kinder nicht in die Schule, sondern zum Arbeiten auf den Markt. Gerade hier wollen die Eingliederungsprogramme eingreifen und weiterhelfen. Gezielt sollen die Talente der Gitanos im Bereich der Musik und der Kommunikation angesprochen und gefördert werden. Somit sollen die Schule für Gitano-Kinder attraktiver gestaltet werden, da sie sich nur mittels Bildung aus den unteren sozialen Schichten emporarbeiten können.
Ein positives Beispiel zeigt auch hier die Stadt Alicante, wo die Selbsthilfeorganisation „Arakerando“ von der dort lebenden Gitano-Gemeinde gegründet wurde, mit dem Ziel, die „traditionellen“ Probleme wie Armut, Gewalt, Perspektivlosigkeit und Diskriminierung zu bekämpfen.
19.04.2006, Anja Köder
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