Die „Spanische Grippe“

Eine Grippe kann die Welt verändern
Pandemien hatten in der Vergangenheit großen Einfluss auf die Geschichte Europas
  
 Von Rosemarie Kappler

  • Als der spanische König Philipp II. erkrankte, hielt die Welt den Atem an.

  • Die Bedeutung von Pandemien wurde bisher unterschätzt.


Im Gegensatz zu einer eher harmlosen Erkältung beginnt eine Grippe meist akut mit hohem Fieber, Abgeschlagenheit, Glieder- und Kopfschmerzen. Über Wochen wird das Immunsystem so stark geschwächt, dass der Körper für weitere schwere Infektionen anfälliger wird. Im Falle einer Grippe-Pandemie schwächen die Viren aber nicht nur den Organismus des Einzelnen, sie bringen ganze Staatengebilde ins Wanken, und im Einzelfall bestimmen sie sogar den Lauf der Weltgeschichte. So hat der Saarbrücker Kulturhistoriker Professor Wolfgang Behringer jetzt erstmals nachgewiesen, wie sehr die Grippe-Pandemien der Frühen Neuzeit Einfluss auf die Geschichte Europas nahmen und sogar globale Auswirkungen hätten haben können.

Beim Stichwort Grippe-Pandemie denken die meisten unwillkürlich an die „Spanische Grippe„, die unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges mit seinen 8,7 Millionen Toten zwischen 1918 und 1920 weltweit weitere 25 Millionen Todesopfer forderte. Manche Medizin-Historiker gehen sogar von fast 50 Millionen Toten in Folge der Grippe aus. „Spanische Grippe“ hieß die Seuche, weil die ersten Nachrichten über diese Grippe-Pandemie aus Spanien kamen.
Zerfall des spanischen Weltreichs drohte
Schon einmal – fast 340 Jahre zuvor – hatte die Welt den Atem angehalten, als in Spanien ein Grippefall „vermeldet“ wurde. Das war, als der spanische König Philipp II., der einzig überlebende legitime Sohn Karls V., Herrscher über das Königreich von Spanien, die amerikanischen Kolonien, die Niederlande, die Freigrafschaft Burgund, das Königreich Sizilien und das Herzogtum Mailand, erkrankt war. Er führte gerade sein Heer in einen Feldzug Richtung Portugal, mit dem Ziel, sein Imperium zum größten je existierenden Weltreich auszubauen. Philipps schwangere Ehefrau Maria Anna von Österreich starb. „Der Tod des katholischen Philipp II. hätte die Weltgeschichte fundamental verändert; das spanische Weltreich, die Supermacht der Zeit, drohte mangels Thronfolger auseinander zu brechen wie einst das Reich Alexanders des Großen“, erläutert Behringer. Aber der König erholte sich: Portugal wurde annektiert, und Philipp II. zog siegreich in Lissabon ein.
„Welche Entwicklung hätte Lateinamerika genommen? Welchen Verlauf die Religionskriege in Frankreich? Gäbe es den Katholizismus in Deutschland und Österreich noch? Oder die katholische Kirche überhaupt? – Solche Fragen klingen nach virtueller Geschichte, aber Hans Fugger und Hans Khevenhüller haben sie sich gestellt“, konstatiert der Historiker.
Gerade aus der Korrespondenz zwischen dem einstigen „Global Player“ Fugger und dem kaiserlichen Botschafter Khevenhüller hatte Behringer Kenntnisse darüber gewonnen, wie sehr die Grippe das Leben der Menschen der Frühen Neuzeit (die Zeit zwischen 1500 und 1800) bestimmte.
„Im Schnitt gab es drei bis sechs weltweite Grippe-Ausbrüche pro Jahrhundert“, schätzt er. „Die Grippe mit ihren diffusen Symptomen wurde dabei regelmäßig als neue, unbekannte Krankheit wahrgenommen. Das plötzliche hohe Fieber und die enorme Schwäche jagte den Menschen großen Schrecken ein“, so Behringer.
Grippe brachte in Frankreich Frieden
Für die Pandemie von 1580 fand der Saarbrücker Wissenschafter Belege in Italien, Spanien, Portugal, Frankreich, England, Deutschland und Böhmen. In Deutschland hielt sich die Grippe etwa drei Monate, beginnend ab Mitte Juli; sie fand ihren Höhepunkt im September. Vor allem alte Menschen, Schwangere und Kinder fielen der Seuche zum Opfer. Die Bedeutung der Grippe-Pandemien für die historischen Abläufe sei bislang unterschätzt, lautet Behringers Fazit.
So sei etwa in Nürnberg der für August 1580 aufwendig vorbereitete Reichstag erst verschoben, dann abgesagt worden. „Hauptursächlich ist die schwere Erkrankung Kaiser Rudolf II. am Kaiserhof in Prag“, erklärt er. In Frankreich lagen im gleichen Jahr beide Fronten der Hugenotten-Kriege danieder; Mit dem Frieden von Fleix wurden die Kämpfe unterbrochen. Zu den französischen Grippe-Kranken zählten auch Katharina von Medici und Heinrich III.
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