Josan Hatero: Der Vogel unter der Zunge

Es kommt nicht eben häufig vor, dass Krieg als reale Bedrohung in einem aktuellen Roman von einem jungen Autor eine wesentliche Rolle spielt. Umso ungewöhnlicher ist das Romandebüt des jungen Spaniers Josan Hatero. In seinem Land gilt der 34-Jährige aus Barcelona als einer der vielversprechendsten Autoren der jungen Generation.

Der Vogel unter der Zunge ist die Geschichte einiger junger Rekruten, die in 35 Tagen zum Fronteinsatz ausgebildet werden. Irgendwo da draußen, in einem namenlosen Land, tobt ein Krieg. Wir erfahren nichts über den Kriegsanlass und nur wenig über das bisherige Leben der Soldaten. Die "Jungen", die gerade noch Kinder waren, haben nicht viel mehr gemeinsam als die zusammenhängenden Eingangsnummern.
Doch jeder bereitet sich auf seine Art auf das Ende der Ausbildung und den Beginn des Unvorstellbaren vor. Der Rekrut mit der Nummer 2156 lässt sich das Wort unbarmherzig auf die Brust tätowieren. Rekrut 2157 klammert sich an den getragenen Slip eines unbekannten Mädchens, den sie ihm beim Abschied am Bahnhof in die Hand drückt. 2158 hat einen älteren Bruder in der Armee, der ihm von Soldaten-Kameradschaft erzählt hat – er überlegt nun, welcher sein bester Freund werden wird. 2155 erscheint erst gar nicht zum Dienstantritt. Er desertiert, zu einer Frau.

Der Countdown beginnt. Hatero erzählt in kurzen, lose verknüpften Kapiteln, in deren Überschriften er die Tage der Ausbildung herunterzählt. Sein Präsens ist so hartnäckig wie die Hitze, die über der Kaserne liegt, seine Sprache so karg und zweckgemäß wie die Inneneinrichtung der Orte. Es sind kurze Momentaufnahmen von sinnlosen Übungen auf Kosten der Menschlichkeit. Von einem zynischen Hauptmann, dem sein eigenes Leben so wenig wert ist wie das seiner Schützlinge. Von Halbstarkenaktionen im Puff. Vom Träumen, Fantasieren, Wichsen und vom Drogennehmen. Ich wäre gerne wie der Rauch, sagt Rekrut 2158, den sie Segelohr nennen. Der Rauch steigt immer auf und entkommt.

Die Kettenreaktion der Gewalt, die den schmalen Roman durchzieht, endet abrupt am Tag fünf vor Kriegseinsatz. Etwas Geheimnisvolles bleibt zurück. Hatero lässt die Wege der Personen kreuzen: Derselben Figur begegnen wir an unterschiedlichen Stellen des Romans, aus unterschiedlichen Perspektiven. Hatero ist ein präziser Konstrukteur, seine Verweise sind flüchtig und unauffällig. Dieses Buch sollte man genau und aufmerksam lesen, denn es ist erschreckend aktuell.

Bücher von ihm erhalten Sie unter:

Amazon


Literarischer Reiseführer

Kunst und Kultur in Spanien