Die Karwoche in Spanien

Semana Santa – die Karwoche

Zu den wichtigsten und aufwendigsten religiösen Festen in Spanien gehört die heilige Karwoche. Die Feiern des Todes und der Auferstehung Christi sind ein riesiges Spektakel, ein religiöses Schauspiel, dass von Palmsonntag bis zum Ostersonntag statt findet.

In sämtlichen Winkeln Spaniens kann man die leidenschaftlichen Kundgebungen des tiefen religiösen Gefühls der Menschen erleben. Überall haben sie ihre eigenen lokalen Besonderheiten.

In Andalusien sind die Festlichkeiten ausdrucksreich, lebhaft, fröhlich spontan und farbenfroh; in Castilla-León ernsthafter und feierlicher.
Am eindruckvollsten zu beobachten ist die Semana Santa vor allem in den südspanischen Städten Sevilla, Granada, Málaga und Córdoba.
Die gesamte Bevölkerung und tausende Besucher nehmen an diesen beeindruckenden Festen teil, bei denen sich das Schweigen und der Trommelschlag abwechseln – eine irritierende Mischung aus tiefem Ernst und lautstarker Fröhlichkeit.

Pasos

Die Tradition der Semana Santa geht auf das 16. Jahrhundert zurück, als die katholische Kirche begann, der Bevölkerung die Passion Christi näher zu bringen.

Die bedeutendsten Künstler wurden beauftragt Heiligenfiguren aus Holz anzufertigen, die dann, mit prunkvollen Gewändern aus Seide bekleidet, vor den Prozessionen hergetragen wurden. Pasos werden die Figurengruppen auf den reichlich verzierten Altarbühnen genannt. Sie sind zum Teil sehr alt und besonders wertvoll.    

Das Skulpturenwerk La Cena del Señor (das Abendmahl) aus Murcia, zum Beispiel, wurde im Jahr 1763 von dem Meister Francisco Salzillo angefertigt. Es wiegt rund 1.500 Kilo und wird von 28 Personen getragen. Die aus Holz bemalten Figuren, mit ihren Augen aus Glas und Wimpern aus Naturhaar, wirken sehr lebensecht.
In Orihuela, dem Städtchen im Hinterland der Costa Blanca, sind die Figuren außerhalb der Santa Semana im Museum zu betrachten.
Die Pasos zeigen Stationen der Leidensgeschichte Jesu Christi. Sie sind die naturgetreuen Nachbildungen der Leidensgestalten.

An den Tagen von Palmsonntag bis Ostersonntag gibt es mehrere verschiedene Prozessionen, die auf den Straßen der Städte abgehalten werden, wie zum Beispiel die Begräbnisprozession, Palmenprozession oder Auferstehungsprozession. Menschen mit Osterkerzen säumen die Straßenränder, römische Zenturien und bewaffnete Korps halten Ehrenwache bei den Figuren.

Am Palmsonntag wird dem Einzug Jesu in die Stadt Jerusalem gedacht. Die Prozessionsteilnehmer tragen Palmen- und Olivenzweige. In Valencia schmücken diese Pflanzenteile später die Balkone der Altstadthäuser.

Der Gründonnerstag ist in vielen Orten ein festlicher, aber ruhiger Tag. In Orihuela findet am Abend eine Schweigeprozession statt, die einen der Höhepunkte der Festlichkeiten der Stadt ausmacht. Hunderte von Büßern ziehen in ihren Verkleidungen zu eintönigen Trommelschlägen durch die unbeleuchteten Straßen – eine unheimlich wirkende Atmosphäre.

Cofradías

Im Mittelpunkt der Karwocheprozessionen stehen neben den schweren Statuen die Cofradias, die religiösen Bruderschaften, und deren Mitglieder die Cofrades. Die ersten Cofradías entstanden im 15. Jahrhundert in Sevilla, von wo aus sie sich dann über ganz Spanien ausbreiteten.
Die Cofrades tragen die Heiligenfiguren von ihren Pfarrkirchen zur Kathedrale und zurück, ein Weg, der bis zu acht Stunden in Anspruch nehmen kann. Dabei lastet auf der Schulter jeden Trägers, Costalero genannt, ein Gewicht von bis zu 100 Kilogramm.

Tagsüber und nachts ziehen die prunkvollen Zeremonien mit bildnerischer Rhetorik durch die Städte. Mit Tribünen und Girlanden, Fahnen und Kreuzen werden die Szenen als aufwendiges Fest der Sinne gestaltet.

Unter den Cofradías finden Wettbewerbe statt. Jede einzelne Cofradía versucht, ihre festlichen Prozessionen besonders gut und eindrucksvoll zu gestalten. Bei der Prozession in Lorca (Provinz/Region Murcia) rivalisieren die weiße und die blaue Bruderschaft (blancos und azueles). Beide lassen kostbare Karossen bauen, kaufen Pferde aus Galicien und Andalusien und engagieren Musikkapellen.

Alleine an der traditonellen Prozession in Sevilla sind über 55 Bruderschaften mit jeweils etwa 500 Mitgliedern beteiligt. Die Wartelisten für die Aufnahme in eine der Karwochenbruderschaften sind lang, und oft rückt man auf ihnen nur langsam voran, oder, je nachdem, überhaupt nicht. In Valencia werden Mitgliedschaften teilweise sogar vererbt!

Die Büßer

Begleitet werden die Pasos von den Nazarenos oder Penitentes, den Büßern. Dies sind Mitglieder der Bruderschaften, die in anomymen Kutten à la Ku-Klux-Klan (lange Gewänder mit spitzen Kapuzen und Sehschlitzen) ihre Bußehandlungen zum Ausdruck bringen. Einige tragen ein schweres Kreuz, andere gehen barfuß.

Obwohl die Selbstfolterungen, die dem Mittelalter eigen waren, im Laufe der Geschichte wiederholt verboten wurden, sind sie teilweise bis heute erhalten. Die Picasos in San Vicente de la Sonsierra (Rioja), zum Beispiel, schlagen sich mit einem Flachsbündel auf den nackten Rücken, bis das Blut fließt. Die Empalaos in Val verde de la Vera (Cáceres) dagegen umwickelt Rücken, Brust und Arme mit einem Strick und werden in Kreuzform an einen Pflug gebunden.

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Musik

Ebenfalls außergewöhnlich wird es für Touristen, wenn am Rande einer Prozession plötzlich ein einheimischer Gläubiger eine Saeta anstimmt. Dabei handelt es sich um einen inbrünstigen, stoßgebetartigen Klagegesang an eine der Christus- oder Muttergottesfiguren. Begleitet wird dieser meist von Trommelmusik.

In Unteraragonien heißt es, man solle die Trommel schlagen, je länger und lauter, um so besser. Und es kommt auch nicht darauf an, ob die Hände bluten, denn das heiße, man habe gut getrommelt.

In den Tagen vor den Festlichkeiten wird in vielen Ortschaften von Teruel wieder und wieder geprobt: die Musikinstrumente werden gestimmt, die Handgelenke trainiert und die Arme gestählert.

Die Tamboradas, Trommelparaden, sind nicht nur in Aragonien zu finden. In Hellin und Tobarra (Albacete) wie in Mula und Moratalla (Murcia) dröhnen die Trommeln auch zum Zeichen der Trauer bei der Passion des Herrn. In Baena (Córdoba) kämpfen weißbefrackte und schwarzbefrackte Juden darum, wer mehr und besser trommelt.

Den Höhepunkt der Semana Santa bilden in vielen Orten die Prozessionen in der Nacht zum Karfreitag bzw. am Karfreitag selbst. In Sevilla sind ab Mitternacht alle Bruderschaften unterwegs.
Die Figuren, die in den Straßen stehen und im gegebenen Moment bewegt werden, rufen damit unter den Zuschauern eine große Erregung hervor. Das geschieht bei der Segnung einer Jesusfigur in Tobarra (Albacete) am Karfreitagmorgen, oder bei der Herunternahme des Gekreuzigten in der Pfarrkirche von Aledo (Murcia) an demselben Nachmittag, nachdem der Zenturio ihm die Lanze in die Rippen gestoßen hat.

Im Morgengrauen des Karfreitags segnet Christus die Leute und Felder von Arcos de la Frontera (Cádiz), während er in Peraleda de la Mata (Toledo) nach Herausziehen der Nägel aus Füssen und Händen in sich zusammensinkt.
In Baeza (Jaén) umarmen sich die beweglichen Statuen von Jesus, der Veronica, San Juan Bautista und der Jungfrau von La Amargura, und in Ocafla (Toledo) bricht Jesus dreimal zusammen, während die Veronica sein Gesicht wäscht und die Jungfrau von La Soledad weint und ihr Taschentuch an die Augen führt.

Semana Santa Marinera in Valencia

In Valencia findet die Semana Santa Marinera in den am Meer gelegenen Stadtvierteln Grao, Cabanyal und Canyameral statt. Bei Sonnenaufgang am Karfreitag wird das Treffen zwischen den Figuren Santísimo Cristo del Salvador und Santísimo Cristo del Amparo arrangiert. Diese werden gemeinsam zum Strand getragen, wo später eine Lorbeerkrone ins Meer geworfen und dabei für die Verstorbenen und für den Frieden der Welt gebetet wird.

Am Abend des Karfreitag nehmen alle Bruderschaften mit ihren Figuren an der sehenswerten Begräbnisprozession teil. Bei diesem Ereignis ist die Andächtigkeit hervorzuheben wie auch die biblischen Gestalten María Magdalena, Verónica, die Zenturie und viele andere. Einige Teilnehmer und Zuschauer tragen typische Gewänder der Römerzeit.

Das Glockenläuten am Ostersamstag erinnert an die Wiederauferstehung Jesus Christus. Besucher der Stadt sollten an diesem Tag ihren Blick auch nach oben richten, denn einer alten Tradition folgend, schütten die Bewohner Wasser aus den Fenstern ihrer Häuser als Zeichen der Freude.

Am letzten Tag der Semana Santa treffen sich die Figuren der Jungfrau María und des auferstandenen Jesus Christus am Paseo Maritimo unter Begleitung schmerzvoller Musik. Sie werden getragen von Cofrades, deren Gesichter bedeckt sind. Sobald die Statuen zusammentreffen werden tausende Blumen und Tauben in die Luft geworfen. Freudige Musik ertönt und die Cofrades enthüllen ihre Gesichter.

Bei der Semana Santa in Spanien wird das Leid des Jesus von den Teilnehmern der Prozessionen miterlebt. Die Karwoche ist ein impulsiver Glaubensausdruck der Menschen.
Ihre Feierlichkeiten münden in einer überschwenglichen Osterprozession.

Anja Nitschky

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