Künstlerportrait: Provokateur hinterm Rosenstock

Inmitten eines Naturschutzgebietes erstreckt sich eine alte spanische Finca. An ihren Hauswänden ranken Bougainevillea und Rosenstöcke empor und verströmen einen süßlichen Geruch, der Dutzende von Bienen anlockt. Aber es war nicht diese idyllische Atmosphäre, die den Maler August Wilhelm Tauer 1979 veranlasste, nach Spanien an die Costa Blanca zu ziehen. Ich bin wegen des Lichts hierher gekommen, erklärt er. Die Harmonie und Wärme, die das Haus zu umfließen scheinen, verblassen augenblicklich beim Betreten seines Ateliers. In dem großen Dachgeschosszimmer herrscht Chaos.
Zuerst stechen die fünf Staffeleien mit den riesigen Leinwandbildern ins Auge. Der Boden ist mit Pinseln, Abtupftüchern und Ölfarbe übersät, deren Geruch für einen kurzen Moment die Sinne betäubt. Wilhelm Tauer grinst schelmisch: Ich habe extra aufgeräumt.
Es bedarf keines Blickes auf die Bilder, um zu bemerken, dass der Maler gerne provoziert. Es steht ihm ins Gesicht geschrieben. Seinen Malstil nennt er phantastischen Realismus. Die meisten Inspirationen bezieht er aus Diskussionen, aus guten Unterhaltungen, die ihn zum Nachdenken anregen und aus philosophischen Monologen. Was empfindet das menschliche Auge als schön? Eine Frage, die sich der gebürtige Augsburger häufig stellt.

Man kann gegenstandlos schöne Bilder malen, wenn die Formen, die Farbe und die Flächenaufteilung passen, erklärt er. Der eine macht es schön, der andere grausig, obwohl beide die gleichen Mittel verwenden. Über Geschmack lässt sich streiten, weiß der Volksmund – womit er sich allerdings irrt, wenn man Tauers Theorie folgt: Geschmack ist zu 50 Prozent angeboren. Seine Bilder sind jedenfalls nichts für zarte Gemüter. Auf seinen weltweiten Ausstellungen wurden einige seiner Werke mit dem Kommentar zu provokant abgelehnt. Darunter fällt auch das Gemälde in seinem Atelier, das eine halbnackte mit Strapsen gekleidete Nonne abbildet.
Eine tiefe religiöse Zerrissenheit spiegelt sich in vielen von Tauers Bildern wider. Er wurde streng katholisch erzogen und sollte nach seiner Schulzeit eine Pfarrausbildung beginnen. Er brach diese jedoch ab, um sich voll und ganz der Malerei hinzugeben. Die kirchlichen Vorsätze, die ihm sein Elternhaus und der damalige Ortspfarrer predigten, warf Tauer schnell über den Haufen. Seine Abneigung gegen den Klerus stellt er in vielen seiner Werke auf provokante Weise dar. Der Maler deutet auf ein Gemälde, das den Titel Moralische Umwandlung trägt. Es bildet ein homosexuelles Paar ab – eine Frau, die die Brust einer anderen liebkost.
Tauer lehnt sich auf seiner alten Couch, die in dem Atelier wie ein Fels in der Brandung wirkt, zurück. Das Alter macht sich bei dem 76-Jährigen immer öfter bemerkbar, aber der Schalk springt ihm nach wie vor aus den Augen. Der Maler ist für jeden Spaß zu haben. Er lässt sich nur ungern unter Druck setzen. Ich gebe gern und viel, nur nicht dann, wenn einer sagt, du musst. Manche Frau hat ihn wegen dieser Eigenart schon verlassen. Meine fünfte Ehefrau ist die einzige, mit der es funktioniert, erklärt er grinsend. Aber auch in seinem Leben gab es Momente, wo er Zwängen unterworfen war. In den 50er Jahren konnte er seine Familie mit seiner kritischen Kunst nicht ernähren. Er musste Motive wie Wald- und Seelandschaften malen, die sich besser verkaufen ließen. Heute hat er vieles von dem, was er mit der Malerei verdient hat, in Immobilien gesteckt. Heute kann er es sich in seinem Atelier gemütlich machen, seiner Kritik freien Lauf lassen und den Pinsel schwingen wie er will. So wild und frei, wie sich die Rosen um seine Finca ranken.

Charlotte Wolter, 22. Mai 2006

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