Neues Eldorado für schnelle Züge

Spanien will bei Hochgeschwindigkeitszügen die führenden Staaten Japan und Frankreich überholen
Madrid. Wo vor wenigen Jahren noch Bummelzüge gemächlich durch die Landschaft zuckelten, rasen jetzt Superschnellzüge mit 300 Stundenkilometern über die Gleise. Spanien ist zu einem Eldorado der Hochgeschwindigkeitsbahnen geworden. In drei Jahren will das Land, dessen Eisenbahnsystem bis vor kurzem als völlig veraltet gegolten hatte, die führenden Staaten Japan und Frankreich überholen. „Im Jahr 2010 wird Spanien weltweit das längste Netz von Hochgeschwindigkeitsstrecken haben“, kündigte Ministerpräsident José Luis Rodriguez Zapatero an.

Der sozialistische Regierungschef weihte kürzlich zwei neue Strecken ein, eine zwischen Madrid und Valladolid sowie ein letztes Teilstück der Route Madrid-Malaga. Die Strecke Madrid-Valladolid soll später nach Nordspanien verlängert werden. Zudem sind neue Linien von Madrid nach Valencia und Lissabon geplant. Die Strecke Madrid-Saragossa-Tarragona wird nach Barcelona verlängert. Insgesamt kommt Spanien derzeit auf ein Netz von 1500 km. Bis 2010 sollen es 2230 km sein. Japan wird dann – nach spanischen Statistiken – über ein Netz von 2090 km verfügen und Frankreich über eines von 1900 km.
Dabei hatten die Spanier jahrzehntelang von der Eisenbahn nichts wissen wollen. Sie reisten lieber mit dem Auto, dem Bus oder dem Flugzeug. Bis in die 80er Jahre transportierte die Bahn nur sechs Prozent der Passagiere und vier Prozent der Güter. Für die 625 km zwischen Madrid und Barcelona benötigten die Züge sieben Stunden.
Erste Spezialstrecke wurde 1992 eröffnet
Die Wende kam 1992 mit der Eröffnung der ersten spanischen Hochgeschwindigkeitsstrecke Madrid-Sevilla. Die Superschnellzüge liefen nicht nur dem Flugzeug den Rang ab, sondern veränderten auch das Wirtschaftsleben ganzer Städte. Das in der Hochebene La Mancha gelegene Ciudad Real wurde quasi zu einer Vorstadt von Madrid, obwohl der Ort 171 km von der Hauptstadt entfernt ist. Demnächst soll die Stadt den ersten privat betriebenen, internationalen Flughafen des Landes erhalten.
„Bei Reisen innerhalb Spaniens war das Flugzeug das Verkehrsmittel des 20. Jahrhunderts, die Bahn ist das des 21. Jahrhunderts“, schreibt die Zeitung „El País“. „Spanien wird das Land der AVE.“ AVE steht für Alta Velocidad Espanola (Spanische Hochgeschwindigkeit), bedeutet aber auch „Vogel“. Auf den AVE-Strecken setzt die staatliche Bahngesellschaft drei Arten von Zügen ein: eine Abwandlung des französischen TGV (Train À Grande Vitesse), eine spanische Version des deutschen ICE-3 (Intercity-Express) und eine spanisch-kanadische Koproduktion, die aufgrund der schnabelförmigen Zugspitze im Volksmund „El Pato“ (die Ente) heißt.
Schmales Gleis für hohe Geschwindigkeit
Beim Bau seiner Hochgeschwindigkeitsstrecken kann Spanien nicht auf bestehende Schienen zurückgreifen, sondern muss völlig neue Gleise anlegen. Die spanische Bahn benutzt nämlich traditionell eine größere Spurbreite als andere europäische Bahnen. Die AVE-Züge jedoch erhalten Gleise mit normaler Spurbreite, denn sie sollen Spanien enger an Europa anbinden.
Hauptstadt Madrid als einziger Knotenpunkt
Der rasche Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes ist allerdings nicht ganz unumstritten. Die Bahn muss sich vorhalten lassen, ihre herkömmlichen Linien zu vernachlässigen. Außerdem wird ihr der Vorwurf des Zentralismus gemacht. „Der AVE wird nur in Madrid und für Madrid geplant“, schreibt die in Barcelona erscheinende Zeitung „La Vanguardia“. „Querverbindungen wie Valencia-Barcelona oder Bilbao-La Coruna fallen unter den Tisch.“ Barcelona hätte eigentlich schon vor drei Jahren an das AVE-Netz angeschlossen werden sollen. Streitigkeiten über den Streckenverlauf und Planungspannen verzögerten jedoch die Bauarbeiten. Die Zeitung „El Mundo“ zeigt in einer Karikatur Josef und Maria vor einem AVE-Zug stehend und legt dem Heiligen Josef die Worte in den Mund: „Wenn wir rechtzeitig ankommen wollen, reisen wir lieber auf einem Esel.“
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